„Ich bringe dich um“: Mein Leben mit häuslicher Gewalt (Gastbeitrag)

von mama moves

Text von Anonym

Nach meinem Abitur zog es mich von der Ostsee zurück nach NRW, um dort ein FSJ im sozialen Bereich zu beginnen. Diese Entscheidung stand für mich schon ziemlich früh fest, da die Mentalität und das Leben für mich dort anders waren. Eine enge Freundin entschied sich mit mir zu kommen.

Schnell hatten wir zusammen eine Wohnung gefunden, nicht in der besten Lage, aber sie war groß und dafür relativ günstig, auch sie begann ein FSJ. Unsere erste eigene Wohnung, soweit von unseren Eltern entfernt nutzen wir, um ausgiebig zu feiern und neue Dinge zu erleben, wir waren beide 18 Jahre alt. Natürlich dauerte es nicht lange, bis wir Leute kennenlernten, und darunter war auch er. Dieser Typ, der eigentlich nur still in der Ecke saß, er hatte eindeutig keine Lust auf uns, den weiblichen Besuch, den seine Freunde mitgebracht hatten.

Der Anfang vom Ende

Trotzdem habe ich ihn anscheinend von mir überzeugen können, und ein paar Wochen später führten wir eine Beziehung. Diese fing schon relativ turbulent an, ich komme aus einer behüteten und gut situierten Familie, er nicht. Schon früh kam er mit Drogen und Kriminalität in Kontakt, und vielleicht war es genau dieser Gegensatz, der mich so anzog – oder auch mein Helfersyndrom. Er war der unpünktlichste Mensch, den ich kennengelernt habe, lies mich teilweise 6 Stunden warten, wenn wir verabredet waren, trotzdem konnte er mich immer wieder beruhigen. Nach 10 Monaten beschlossen wir zusammenzuziehen. Dies war der größte Fehler, für den ich mich jemals entschieden habe.

Wir fanden eine sehr renovierungsbedürftige Wohnung. Mein FSJ war mittlerweile beendet, ich begann noch ein Jahr als Schulbegleiterin und verdiente für eine 19 jährige damit auch ganz passabel. Er hatte keinen Job mehr und versprach mir die ganze Zeit seinen Abschluss nachzuholen.

Natürlich glaubte ich ihm und somit unterschrieben wir den Mietvertrag. Die Renovierungsarbeiten, Farben sowie die Einrichtung bezahlte ich, ebenso die ersten Mieten und unsere Verpflegung. Von meinem verdienten Gehalt blieb mir nichts. Ich arbeitete unter der Woche von 8-16 Uhr und er war zu Hause, und wenn ich nach Hause kam, musste ich mich auch noch um den Haushalt kümmern. Zuerst habe ich diese Sachen nicht als Problem gesehen, mit der Zeit kamen jedoch finanzielle Probleme auf mich zu und meine Kraft wurde immer weniger. Aber ihm einen Vorwurf machen? Niemals wäre ich auf die Idee gekommen. Man fängt an in seinem eigenen Lügenkonstrukt zu leben. Du lügst deine Freunde an, du lügst deine Familie an, aber am meisten belügst du dich selber.

Er wurde jedoch immer ungemütlicher, schlechte Laune war Tagesprogramm und eigentlich war ich für ihn immer die Schuldige.

Hauptsache überleben

Die erste gewalttätige Auseinandersetzung erfuhr ich nach einem halben Jahr in unserer gemeinsamen Wohnung. Wir stritten mal wieder wegen einer nicht bedeutsamen Sache. Beide waren wir im Bad, dann sprang er aus der Dusche, packte mich an den Haaren, schlug mich gegen die Wand und ins Gesicht, dann zog er mich an den Haaren ins Schlafzimmer, drückte mir ein Messer an den Hals und sagte mir, dass er mich umbringen werde. In so einer Situation setzt ein Schutzinstinkt ein und du überlegst nur, wie du lebend aus der Situation rauskommst, also entschuldigte ich mich bei ihm und versuchte ihn zu beruhigen. Er rannte aus der Wohnung – und ich? Ich räumte auf und weinte, rief aber niemanden an und hatte das Gefühl, dass es meine eigene Schuld sei, ich hatte ihn ja provoziert. Genau das teilte er mir auch am Abend mit, als wir wieder gemeinsam in der Wohnung waren. Ich erzählte niemandem davon, denn ich war mir absolut sicher, dass das nie wieder vorkommen würde, und letztendlich liebte ich ihn ja und er mich.

Nach dem ersten Vorfall lernte ich mich anzupassen, so wie er mich haben wollte. Ich überlegte mir jeden Satz genau, denn ansonsten hätte er ja noch einmal böse auf mich werden können.

Genau das geschah ein halbes Jahr später, wir waren zusammen mit Freunden in einem Park, es war sehr warm, jeder trank etwas und wir redeten und hörten Musik. Nach ein paar Stunden war er sehr betrunken, in solchen Situationen musste ich noch mehr aufpassen. Egal was passierte, ich war schuld, ich konnte keine anderen Männer anschauen oder mit ihnen reden. Als es mir zu viel wurde, da er mir andauernd vorhielt, ich wäre eine Schlampe, sagte ich ihm, dass wir jetzt nach Hause gehen sollten oder ich alleine gehen würde.

Schreie, Blut, Flucht

Das war der Auslöser für ihn, mir mit voller Wucht mehrfach mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. In dem Moment tut dir nichts weh, du hoffst einfach nur, dass du es überlebst. Ich schrie um mein Leben, Leute standen auf einmal um uns herum. Er schrie ebenfalls und alles war voller Blut, es hörte gar nicht mehr auf zu bluten. Er hielt mich die ganze Zeit fest am Handgelenk, während Menschen auf uns einredeten. Dann bin ich in Ohnmacht gefallen. Als ich wieder zu mir kam, hörte ich nur, dass Leute die Polizei gerufen hatten, und ich rannte. Warum? Ich weiß es nicht! Er lief mir hinterher und sagte, als er mich eingeholt hatte: Schatz, schau, was passiert, wenn du mich wütend machst, das muss doch nicht sein. Natürlich glaubte ich ihm, ich hatte mich ja über ihn gestellt. Die Polizei fand uns auf unserem Weg trotzdem, ich war auch nicht zu übersehen, überall war Blut. Sie hielten uns an und wollten mich beiseite nehmen, ich schützte ihn jedoch, obwohl die Polizei mir dringend riet mich sofort in ärztliche Behandlung zu begeben.

An dem Abend übernachtete ich bei seiner Tante, allein. Sie brachte mich am nächsten Tag ins Krankenhaus. Diagnose: Nase gebrochen, Prellungen und Platzwunden am ganzen Kopf. Aber natürlich ließ ich ihn mich im Krankenhaus besuchen, er war doch mein Freund. Ich freute mich sogar. Nach der Operation der Nase, welche ich als Treppensturz verkaufte, konnte ich wieder nach Hause, und auch dieses Mal erzählte ich meiner Familie nichts. Meine engsten Freundinnen wussten es, jedoch auch nur dadurch, dass eine von beiden beim Vorfall dabei war.

Sie versuchte mir immer wieder zu sagen, dass ich mich trennen muss, versuchte mir klar zu machen, dass er etwas sehr Schlimmes mit mir gemacht hatte. Aber ich sagte immer nur, dass er ja eigentlich nicht so sei.

Wir wohnten mittlerweile getrennt, ich hatte ein Studium angefangen in einer anderen Stadt und kam nur noch am Wochenende nach NRWf. Dies nahm er als Begründung für seine Vorwürfe, ich hätte ihn alleine gelassen und meinetwegen würde sein Leben den Bach hinuntergehen. Ab diesem Zeitpunkt wurde alles nur noch schlimmer. Er klaute mir nachts Geld von meinem Konto, belog mich, hatte neben mir eine andere Freundin. Aber sauer auf ihn sein? Nein! Ich wollte sein Leben retten. Natürlich hatte ich Wut in mir, aber die konnte ich mit niemandem teilen, ansonsten hätte ich ja versagt. Also führte ich das Leben weiter und ging immer weiter kaputt, ritt mich immer weiter in die Schulden, lies mich weiter von ihm schlagen oder schubsen und legte mich natürlich auch brav neben ihn, wenn er es wollte.

Hoffnungsschimmer und Höllenschmerz

Bis zum Juli 2017. Ich lernte einen Mann kennen an meiner Uni. Er war so höflich und nett zu mir, ich war völlig überfordert: Ein Mann kann so nett sein, und ich darf so sein, wie ich bin? An dem Abend telefonierte ich mit meiner Mutter und weinte. Ich fühlte mich so schlecht, da ich mit einem anderen Mann einen Kaffee trinken war und ich ihn nett fand, obwohl ich doch einen Freund hatte. Ich besprach mit ihr, dass ich die Beziehung nicht mehr führen könne und ich nicht glücklich sei. Und dennoch wusste ich nicht, was ich tun sollte.

Am nächsten Tag fuhr ich also wieder nach NRW. Ich sagte, dass ich sehr müde sei, und legte mich schnell ins Bett, um jeglichen Zärtlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Am nächsten Morgen wachte ich auf durch das Knallen der Tür, er kam verschwitzt in die Wohnung und schaute mich hasserfüllt an. Er fragte mich: Wer ist er? Ich war völlig verwirrt und wusste nicht, was er meinte. Er sagte: Der Mann, auf dessen Facebook-Profil du warst! Ich versuchte das geplante Gespräch anzufangen und ihm zu erklären, dass ich nicht mehr glücklich sei, das aber nichts mit dem Mann zu tun habe und ich ihn niemals betrügen würde. Er schrie und beschimpfte mich, und dann kam es zum Auslöser für die schlimmste Situation, die ich in meinem Leben erlebt habe. Ich sagte, er solle nicht übertreiben. Seine Antwort war: Ich zeige dir jetzt, wie ich übertreibe.

Er sprang mit gestreckter Faust auf mich zu und schlug immer und immer wieder zu, dann stellte er sich hin und trat mit seinen Schuhen auf mich ein. Auch in dieser Situation überlegte ich nur, wie ich überleben kann, und entschuldigte mich wieder und wieder. Er hörte auf, das Blut lief über meine Stirn und aus meiner Nase, er schaute mich an und sagte: Das ist es doch, was du willst, ich soll schlecht dastehen und ins Gefängnis kommen. Das war der Moment, wo ich aus der Wohnung rannte, und anstatt einen Krankenwagen zu rufen, rief ich ein Taxi. Er kam mir hinterher und fragte, ob ich jetzt wirklich alleine ins Krankenhaus fahren wolle. Viele Menschen haben mich gesehen, weinend und blutend, niemand hat mir geholfen. Im Krankenhaus war die Diagnose eine erneute Nasenfraktur, Platzwunden, Prellungen überall. Nur dieses Mal erzählte ich, was passiert war. Den Ärzten, meiner Familie und meinen Freunden, es sollte keinen Weg zurück zu ihm geben.

Nur eines wollte ich nicht: ihn anzeigen, warum? Eigentlich war er doch ein armer und trotzdem guter Mensch, das waren zumindest die Gedanken in meinem Kopf. Nach 3 Tagen konnte ich das Krankenhaus verlassen und stürzte mich zurück in meinen Alltag an meinem Studienort, relativ schwer mit einem deformierten Gesicht. Natürlich rief er mich an und machte mir Liebeserklärungen und entschuldigte sich, bis er merkte, dass ich nicht zurückkommen würde. Dann kamen die Drohungen.

Es reicht!

Nach 7 Monaten entschloss ich mich ihn anzuzeigen. Ich hatte ein wenig Abstand zu der Sache gewonnen und konnte wieder klarer denken. Ich dachte, dass es mir leicht fallen würde, aber jetzt kann ich sagen, dass dies ein sehr schwerer und anstrengender Schritt war. Aussagen, Verhöre, immer und immer wiederholen, was passiert ist, du musst dich rechtfertigen, und bald wird der Tag kommen, an dem ich dem Menschen, der mir all das angetan hat und den ich trotzdem über alles geliebt habe, im Gerichtssaal gegenübersitzen muss. Ich habe große Angst vor diesem Tag, aber es war der einzig richtige Schritt, den ich gegangen bin. Auch wenn dieser mir mehr Kraft raubt als alles zuvor, ist es der erste Schritt, mich selbst zu schützen. Es ist der erste Schritt, mit dem ich zeige, dass ich auch Gerechtigkeit und Respekt verdient habe und dass man mir solche Dinge nicht antun darf. Der erste Schritt, um ihm zu zeigen: Das, was du getan ist, ist Gewalt und schrecklich, und damit kommt man nicht einfach davon.

Ob ich die Antwort nach dem Warum bekommen habe?

Warum hast du das mit dir machen lassen?

Warum bist du bei ihm geblieben?

Warum….

Nein, so eine Erfahrung kann man nicht mal eben in einem halben Jahr verarbeiten. Er hat mich psychisch und emotional eingelullt und eingesperrt. Reflektieren kann ich das Ganze ganz gut, aber eine Antwort nach dem Warum habe ich nicht und werde ich alleine auch niemals finden.

Noch nie hat es ein Mensch geschafft mich so kaputt zu machen, diese Geschichte wird mich in jeder Beziehung begleiten, und dafür habe ich Gerechtigkeit verdient.

Ich darf glücklich sein und geliebt werden, denn ich bin ein toller Mensch.

 

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5 Kommentare

Lisa 11. April 2018 - 5:31

Wirklich mutig, dass du uns von deiner Geschichte erzählst. Wie schön, dass du die Kraft gefunden hast, zu erkennen wie wertvoll du als Mensch bist. Vielleicht gibt es anderen Frauen auch den Mut um diese Stärke früher zu beweisen und zu erkennen, dass es niemals ihre Schuld ist, wenn sie geschlagen und so mies behandelt werden!!! Alles Liebe für Dich ❤️

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Mara 10. April 2018 - 17:05

Einfach nur grausam! Das hat niemand verdient!!!!

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Asiye 10. April 2018 - 12:44

sehr bewegende Geschichte, mit der richtigen Entscheidung am Ende. Zwar ist es schwer nachvollziehbar aber irgendwie gelingt es dann doch. Wir machen alle Fehler und das Beste ist, daraus zu lernen. Ich wünsche dir alles Gute. Ich hoffe meine Kollegen werden ihn mit einer ordentlichen und lehrreichen Strafe versehen

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Rita 10. April 2018 - 11:39

Ich kann nicht nach empfinden was sie durch gemacht hat oder wie das Leben mit solch El El Erlebnis weiter geht! Hut ab, dass du es raus geschafft hast! Nicht jeder schafft es und das ist sehr traurig denn es eine Tatsache! Keiner hat so etwas verdient!!! Ein sehr emotionaler und ergreifender Beitrag!

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Käthe 10. April 2018 - 11:20

Liebe anonyme Erzählerin,

ich sitze hier in meiner Mittagspause und mir laufen die Tränen, weil deine Geschichte füchterlich erschreckend ist.
Und dabei passiert sowas leider Gottes viel zu häufig. Ich schäme mich so sehr für die Menschen, die dir nicht geholfen haben!

Ich wünsch dir viel Kraft. Für den Porzess, die Gegenüberstellung, die nächsten Schritte in einem normales Leben!
Du bist wertvoll und es wert, liebevoll und mit Respek behandelt zu werden.
Ich drück dich unbekannterweise aus der Ferne :-*

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